Von Köln nach Chicago – der komplizierte Weg
Ich kann nicht langsam gehen.
Entweder ich gehe schnell oder gar nicht. Auf Flughäfen ist das besonders extrem.
Schnell gehen finde ich gut. Rennen dagegen finde ich gar nicht so gut – und erst recht nicht auf Flughäfen. Auf meinem nicht ganz einfachen Weg von Köln nach Chicago blieb mir das aber leider nicht erspart. Und dann musste ich auch noch durch einen Flughafen rennen, der gar nicht auf der Route eingeplant war: Toronto. Aber dazu später mehr. Ich fange besser mal von vorne an.
Nachdem mein erstes Studienjahr rum war wollte ich im Sommer 2006 ein paar Wochen bei meiner Tante in Chicago entspannen. Ich hatte einen Flug mit KLM von Köln über Amsterdam nach Chicago gebucht und alles schien perfekt zu laufen. Das Boarding startete rechtzeitig und alle Passagiere saßen nach kurzer Einsteigezeit in der kleinen Propellermaschine, die von KLM immer für die Strecke CGN – AMS eingesetzt wird. Es sah alles danach aus, dass die Fokker 50 pünktlich starten würde. Auf der Startbahn hatte ich mich schon gefreut, dass ich in Amsterdam genug Zeit zum Gate-Wechsel hatte. Würde wohl ein guter Reisetag werden, nachdem früh morgens schon mein kleiner Cousin geboren wurde.
Der Pilot setzte zum Start an und beschleunigte auf’s Maximum. Aber dann wurde die kleine Maschine plötzlich wieder langsamer und anstatt in die Luft zu gehen fuhren wir auf den letzten Drücker auf indirektem Weg zurück zum Gate. So was hatte ich ja noch nie erlebt! Und ich bin schon häufig geflogen. Ich hab mir über die Gründe nicht besonders viele Gedanken gemacht – der Pilot wird schon wissen, was er da tut. Es gab allerdings auch keinerlei Durchsagen mit Erklärungen. Als wir zurück am Gate waren, ging die Tür wieder auf und 2 Techniker kamen ins Flugzeug und verschwanden im Cockpit. Nach etwa einer Stunde – in der die Passagiere übrigens nicht aussteigen durften – kamen die beiden wieder zum Vorschein und verschwanden aus der Maschine. Die Tür ging zu und wir setzten wieder zum Abflug an. Weiterhin keine Erklärung, was eigentlich passiert war und wieso die Techniker so lange im Cockpit waren. Für Menschen, die generell eher ungern fliegen, wäre das wahrscheinlich die Hölle gewesen. So eine Fokker 50 ja sowieso nicht gerade vertrauenserweckend für Flugangst-Patienten.
Ich hatte inzwischen aber nur noch meinen Anschlussflug nach Chicago im Kopf. Den konnte ich knicken, wenn wir nicht bald mal Richtung Amsterdam abheben würden. Der Start zog sich natürlich noch eine Weile hin, weil wir unplanmäßig zwischen die ganzen großen Maschinen geschoben werden mussten. Noch in der Luft wusste ich, ich muss entweder rennen, oder ich verpasse meinen Anschluss.
Da kam das erste Mal das Thema Rennen auf. Ich war noch gut drauf und bereit, alles zu geben. Aber ich kam gar nicht dazu zu rennen. Denn so eine Fokker kann ja grundsätzlich nicht am Terminal halten, weil sie zu klein für die Gangway ist. Also hieß es ab in den Bus und schön brav warten, bis alle Passagiere sich zum Aussteigen bequemt hatten. Busse auf Flughäfen fahren dann aber grundsätzlich nicht sofort los, wenn alle Personen an Bord sind – warum auch? Als der Bus dann am Terminal ankam und ich einen Blick auf die Abflug-Tafel werfen konnte war klar: ich hatte meinen Anschlussflug verpasst. Das Boarding war schon gestartet und ich hätte es mit den ganzen Kontrollen niemals rechtzeitig zum Gate geschafft. Gut, kann ich mir das Rennen also sparen.
Ich bin dann auf direktem Weg zum Serviceschalter von KLM gegangen, um meine Möglichkeiten in Erfahrung zu bringen. Einen zweiten Flug direkt nach Chicago gab es an dem Tag nicht. Aber man könne mich auf einen Flug über Toronto umbuchen. Da ich keine ganze Nacht am Amsterdamer Flughafen verbringen wollte, habe ich dieses Angebot angenommen. Der Flug war natürlich schon fast ausgebucht und so bekam ich einen überaus bequemen Sitzplatz in der Mitte einer Dreierreihe. Aber ich will mich nicht beschweren – schließlich hat KLM meine Weiterreise möglich gemacht und mir zugesagt, dass mein Koffer es noch in die Maschine schafft.
Der Flug nach Toronto war lang, aber okay. Meine Sitznachbarn waren nett und natürlich total interessiert an meiner Story, die ich an dem Tag schon erlebt hatte. Wenn die gewusst hätten, was danach noch alles kam… Mir wurde in Amsterdam gesagt, dass ich meinen Koffer in Toronto abholen und neu einchecken muss, weil ich von Toronto nach Chicago auf einen American Airlines Flug umgebucht wurde. Code-Share hin oder her, ich musste meinen Koffer holen und am Check-in aufgeben, um meine Bordkarte zu bekommen.
Der Flug war pünktlich und ich war guter Dinge, innerhalb von 2 Stunden meinen Koffer zu holen, zum Check-in von AA zu gehen und neu einzuchecken. Und da stand ich nun am Kofferband und wartete. Und wartete. Und wartete. Eine Stunde. Ich habe jeden verdammten Koffer zu sehen bekommen, der in meiner Maschine mitgeflogen ist. Nur meinen nicht. Der wurde in Amsterdam nämlich gar nicht eingeladen.
Da stand ich nun, den Tränen nahe, und musste zu einem Officer, um meinen Kofferverlust zu melden. Dazu musste ich ein Formular ausfüllen und mich dann (eigentlich) in die Schlange für den Zoll stellen. Da ich aber keine Zeit hatte und schon extrem schlecht drauf war, bin ich einfach an der Schlange vorbei gegangen, habe mich ein paar Mal anmotzen lassen und habe dem Zoll-Officer mein Zoll-Formular in die Hand gedrückt. Das Formular für den Koffer musste ich dann noch an anderer Stelle abgeben und dann konnte ich endlich wieder ins Terminal zum Check-in von AA.
Nur gab es weit und breit keinen American Airlines Schalter in dem Terminal. Deshalb ging ich zu einem beliebigen Mitarbeiter und fragte nach. „American? The counter is in Terminal B. We are in Terminal A. You have to take a bus to the other Terminal. It leaves every 15-20 minutes.“ Ah okay. Also mal wieder Bus fahren. Ich ging dann auf direktem Wege zum Bus-Stopp und ahnte nichts Böses. Aber fast am Bus angekommen, fuhr der plötzlich los. Und ich hatte doch keine Zeit. Ich hatte schon eine Stunde an dem Kofferband verschwendet und der Check-in Schalter hatte nur noch ein paar Minuten geöffnet. Und dann rannte ich los. In solchen Situationen machen sich die 10 Jahre Leichtathletik doch bewährt. Ich rannte diesem Bus wie eine Wahnsinnige hinterher und konnte so gerade noch an die Rückscheibe schlagen, bevor der Bus voll beschleunigte. Ich hatte an diesem Tag bisher nur nette Menschen kennen gelernt – und genau so einer war auch der Busfahrer. Er hielt noch mal an und öffnete die Tür. Ich bedankte mich und fiel komplett fertig auf einen freien Sitzplatz im Bus.
Dass der Bus ca. 10 Minuten fährt, bis er endlich an dem anderen Terminal ankommt, hatte mir niemand gesagt. Aber mir blieb ja sowieso nichts anderes übrig als zu warten und zu hoffen, dass American Airlines mich noch einchecken lässt. In dem Terminal war keine Menschenseele. Ich fand den Schalter zum Glück sofort und da war auch noch ein einziger Mitarbeiter. Der guckte mich ziemlich verdutzt an, denn der Flug nach Chicago ging schon in 20 Minuten. Ich war schon wieder den Tränen nahe und befürchtete, die Nacht nun in Toronto anstatt in Chicago verbringen zu müssen. Aber der nette Herr fragte durch sein Funkgerät nach, ob ich noch einchecken könnte. Ja, ich konnte. Dank des fehlenden Koffers. Das war der einzige Vorteil, dass ich keinen Koffer hatte. Nur mit Handgepäck geht’s halt schneller.
Ich bekam meine Bordkarte und einen gutaussehenden jungen Mann an die Seite, der mich durch den Flughafen und die ganzen Sicherheitskontrollen bringen sollte, damit die Maschine nicht auf mich warten muss. Nachdem wir schnellen Schrittes durch den halben Flughafen gegangen waren, fragte der Typ plötzlich nach meinen Einreiseformularen. Einreiseformulare? Welche Formulare? Wieso hier? Wir sind doch in Kanada, ich will hier doch gar nicht einreisen. Er erklärte mir, dass Personen, die über Kanada in die USA kommen, schon beim Abflug in Kanada in die USA einreisen. Da sitzen vor den Abfluggates nette Amerikanische Staatsbürger, die dir die Stempel in den Pass hauen. Eigentlich praktisch, dann muss man in den USA an der Einreise nicht so lange warten. Problematisch ist das Ganze nur, wenn man sowieso keine Zeit hat und dann noch keines dieser blöden Formulare ausgefüllt hatte. Da stand ich also und füllte auf die Schnelle die Formulare aus. Mich wundert, dass der Officer mir überhaupt meinen Pass abgestempelt hat – auf dem Formular konnte man so gut wie gar nichts von meinem Gekritzel erkennen.
Die Einreise erfolgreich hinter mich gebracht brachte der gutaussehende junge Mann mich zur letzten Sicherheitskontrolle vor den Gates. Ich durfte mich ganze vorne in die Reihe stellen und da der Typ mir nach diesem Punkt nicht mehr weiterhelfen konnte verabschiedete er sich von mir mit den schönsten Worten, die er hätte wählen können: „After the check you have to get to the gate fast. You better run.“ Danke für den Hinweis. Als wäre ich nicht schon genug gerannt an diesem Tag.
Aber brav wie ich bin hörte ich auf den Mann. Nachdem ich den Security-Check geduldig über mich hatte ergehen lassen, zog ich mir nicht mal meinen Gürtel wieder an sondern sprintete direkt los. Wäre auch zu schön gewesen, wenn das Gate in der Nähe gelegen hätte. Aber so war es natürlich nicht – ich musste bis zum Ende des Terminals sprinten, bis ich endlich mein Gate erreichte. Es stand niemand mehr an der Gangway und ich hatte schon Angst, dass das Boarding schon beendet war. Auf Nachfrage beim Bodenpersonal hin bekam ich aber die Antwort, dass das Boarding noch gar nicht angefangen hatte. Die Passagiere saßen alle noch am Gate und warteten. Aha, okay. „The aircraft is still in Chicago. They can’t depart cause of a storm over the city.“ Wie bitte? Der Flieger ist noch nicht mal in Chicago gestartet? Wozu in aller Welt bin ich dann die ganze Zeit gerannt? Ich war so kaputt, dass ich kaum noch Luft bekam. Schöner Mist. Und dann saß ich da, wieder den Tränen nah und nass geschwitzt an diesem blöden Gate und wartete auf den Flieger, der mich endlich an mein Ziel bringen sollte.
Zwei Stunden später konnten wir dann endlich einsteigen. Zu dem Zeitpunkt war ich schon über 20 Stunden unterwegs. Nach weiteren 2 Stunden kam ich dann endlich völlig erschöpft an meinem Zielort an und gönnte mir erst mal ein Bier in der Küche meiner Tante. Und ein Gutes hatte das Ganze: Am nächsten Tag wurde ich neu eingekleidet – ich hatte ja schließlich keinen Koffer. Der kam einen weiteren Tag später dann aber auch an.
Seit dieser Reise bevorzuge ich Direktflüge. Da ist es nicht tragisch, wenn der Flieger zu spät abhebt. A propos, ich hab noch gar nicht erzählt, was die Techniker eigentlich in der Fokker 50 zu suchen hatten. Als wir in Amsterdam gelandet waren, sagte der Pilot kurz und knapp: „Wir hatten technische Probleme mit dem Tacho. Der hat die Geschwindigkeit nicht mehr angezeigt.“ Ach, na dann war es ja nur eine Kleinigkeit…
Du konntest schon nicht langsam krabbeln